Worauf sollte bei der Ernährung in der Schwangerschaft und vor der Geburt wirklich geachtet werden?
Wer sich über geburtsvorbereitende Diäten informiert, kommt an der Louwen-Diät, Himbeerblättertee und Datteln nicht vorbei. Was steckt wirklich dahinter und was ist wichtig im Hinblick auf die Ernährung während der Schwangerschaft und in Vorbereitung auf die Geburt? Wir haben mit der Oecotrophologin Edith Gätjen gesprochen, die sich schon seit vielen Jahren mit den Themen Schwangerschaft; Stillzeit sowie Säuglings- und Kinderernährung beschäftigt.
Häufig liest man von geburtsvorbereitenden Diäten. Was ist deren Ziel und wie unterstützen sie die werdende Mutter und das Baby?
Eigentlich können wir hier nicht von Diät sprechen, denn wir sehen die Schwangere nicht als Patientin. Sie ist nicht krank, sondern bekommt ein Kind. Daher sprechen wir von einer geburtsvorbereitenden Ernährung.
Insgesamt gilt für die Schwangerschaft eine ausgewogene Vollwerternährung. Das ist eigentlich erst mal alles. Im Prinzip werden noch ein paar mehr Mikronährstoffe sowie Omega-3-Fettsäuren benötigt, da ein neuer Körper gebaut werden muss. Die Stillzeit fordert noch mal eine deutlich nährstoffreichere Nahrung als die Schwangerschaft.
Ernährung in der Schwangerschaft heißt Fürsorge für neun Monate und Vorsorge ein Leben lang. Vor allem geht es um die Gesundheitsvorsorge für das Kind, denn wenn dieses schon mit ausreichend Vitaminen sowie Mineralstoffen während der Schwangerschaft versorgt und das Insulinsystem nicht überfordert wird, dann hat es einen guten Start ins Leben. Darauf sollte, meiner Meinung nach, mehr Wert gelegt werden. Es geht nicht nur darum, sich in den neun Monaten der Schwangerschaft gut zu ernähren, sondern ein Leben lang.
Entscheidend für die Geburt ist es, dass das Gewicht der Mutter halbwegs eingehalten wird. Eine gute Orientierung bieten hier die S3-Leitlinen Adipositas und Schwangerschaft. Beispielsweise sollten untergewichtige Frauen im Schnitt 2-3 kg pro Monat und adipöse Frauen 700 g pro Monat zunehmen. Das ist entscheidend, denn selbst wenn untergewichtige Frauen zu viel Gewicht in zu kurzer Zeit zunehmen, wirkt sich das auf die Fuß-, Knie- und Hüftgelenke sowie das Herz-Kreislauf-System aus. Das hat zur Folge, dass sich die Schwangere aufgrund von Schmerzen und Kurzatmigkeit nicht mehr viel bewegt, was wiederum dazu führen kann, dass die Frau unter der Geburt keine Power mehr hat.
Abgesehen davon kann eine schnelle Zunahme des Fettgewebes die Insulinresistenz verstärken, welche in einen Gestationsdiabetes münden kann. Im Hinblick auf die Geburtsvorbereitung ist also der entscheidende Punkt, das entsprechende Körpergewicht einzuhalten.
Was ist Ihrer Meinung nach wichtig bezüglich der Ernährung in der Schwangerschaft?
Ein wichtiger Punkt ist die Nährstoffdichte. Das ist der Anteil der nicht energieliefernden Nährstoffe, Vitamine, Mineralstoffe und sekundären Pflanzenstoffe, bezogen auf die Energie. Gemüse sollte immer an erster Stelle stehen, denn Gemüse enthält große Mengen an Vitaminen, Mineralstoffen und sekundären Pflanzenstoffen, aber wenig Energie. Die Energiedichte, also die Anzahl der Kalorien pro Gewichtseinheit, ist ebenfalls entscheidend. Der Mythos „Schwangere müssen für zwei essen“ ist übrigens überholt. Bezogen auf die Mikronährstoffe können Schwangere gerne für zwei essen, aber nicht bezogen auf die Makronährstoffe, die Energie liefern. Hier zählt Qualität statt Quantität.
Was halten Sie von der Louwen-Diät?
Was Dr. Louwen mit seinen Empfehlungen bewirken will, hat Hand und Fuß, so wie er es formuliert, finde ich es aus ernährungswissenschaftlicher Sicht allerdings extrem ungenau.
Was empfiehlt Dr. Louwen?
Er empfiehlt, in den letzten sechs Wochen vor dem errechneten Termin keinen freien Zucker und kein Weizen zu essen. Der Hintergrund ist folgender: Das Insulinsystem soll möglichst wenig angeregt werden, denn die Insulinrezeptoren sind die gleichen Rezeptoren wie die Prostaglandin-Rezeptoren. Wenn ich viel Zucker esse, dann werden diese Rezeptoren vom Insulin besetzt und die Prostaglandine können nicht andocken. Als Folge befinden sich freie Prostaglandine im Blut und diese verursachen Schmerzen. Docken sie aber an, leiten Prostaglandine die Geburt ein, öffnen den Muttermund und verkürzen den Gebärmutterhals.
Louwen empfiehlt, in den letzten sechs Wochen keine Kohlenhydrate, keinen Zucker und keinen Weizen mehr zu essen. Demnach verzichten Schwangere dann komplett auf Nudeln, Reis, Kartoffeln und Brot, was gar nicht sein muss, denn gegen Vollkornweizennudeln bzw. -brot, und diese richtig kombiniert, ist nichts einzuwenden. Gleichzeitig essen die Frauen nicht mehr Gemüse, sondern mehr Fleisch, Fisch oder Eier und das ist auch nicht sinnvoll. Abgesehen davon, warum wird diese Ernährung nur in den letzten sechs Wochen empfohlen? Wenn, dann sollten die Frauen sich während der kompletten Schwangerschaft nach Louwens Empfehlungen ernähren. Aus diesen Gründen ist die Louwen-Diät für mich nicht zu Ende gedacht. Es sollte von Beginn an auf eine ausgewogene Ernährung mit Vollkornprodukten geachtet werden, um regelmäßige Blutzuckerspitzen zu vermeiden. Vom Gedanken her ist alles richtig und gut, aber so wie es formuliert wird, finde ich es für werdende Mütter schwer umsetzbar.
Was steckt hinter der Empfehlung, vor der Geburt Datteln zu essen?
Die Dattel enthält den intrinsischen Zucker, also nicht zugesetzten, sondern freien Zucker. Hauptsächlich Fructose, welche vorrangig insulinunabhängig verstoffwechselt wird. Die Dattel hat einen sehr hohen Ballaststoffgehalt und aus diesem Grund eine andere Wirkung auf den Blutzuckerspiegel als beispielsweise Gummibärchen. Das ist schon ein Unterschied. Es gibt eine Studie, die herausgefunden hat, dass der tägliche Verzehr von sechs Medjool-Datteln (ca. 70 g) ab der 36. Schwangerschaftswoche zu einer signifikanten Verkürzung der Latenzphase der Geburt führt.
Was können Datteln noch?
Datteln haben einen enorm hohen Tryptophan-Gehalt und Tryptophan ist die Vorstufe von Serotonin und Melatonin, den sogenannten Glückshormonen. Da fühlt man sich glücklich, entspannt und zufrieden. Datteln enthalten außerdem viel Kalium. Es ist mir sehr viel lieber, dass Schwangere Datteln statt Schokolade oder Gummibärchen essen, aber auch hier ist es wichtig, die Lebensmittel immer gut zu kombinieren, um einem Gestationsdiabetes vorzubeugen. Ein Beispiel wären Datteln in Kombination mit Quark oder zusammen mit einem Vollkornbrot mit Käse. Um hohe Blutzuckerspitzen zu vermeiden, sollten sie nicht isoliert gegessen werden.
Wenn es um geburtsvorbereitende Diäten geht, liest man auch immer wieder von Himbeerblättertee. Was können Sie uns dazu sagen?
Bei sehr guter Qualität ist der Himbeerblättertee ein Antagonist zum Progesteron. Progesteron ist unser Schwangerschaftshormon und hat eine leicht sedierende Wirkung auf die glatte Muskulatur im Körper, wie man sie in der Gebärmutter findet. Der Himbeerblättertee hat eine aktivierende Wirkung auf die glatte Muskulatur, deswegen sollte man den Tee, wenn überhaupt, erst ab der 35. SSW trinken und dann auch nur höchstens eine Tasse pro Tag. Wenn er Wirkung zeigt, kann er die Gebärmutter schon mal in eine Art Trainingszustand bringen und sie zum Kontrahieren bringen. Wir haben allerdings nicht nur in der Gebärmutter glatte Muskulatur, sondern auch im Darm und somit wird auch die Darmperistaltik angeregt. Das hat zur Folge, dass die Frauen weniger an Verstopfung leiden. Wenn sich der Darm bewegt, der sich um die Gebärmutter schlingt, dann bewegt sich auch indirekt die Gebärmutter. Gleichzeitig werden der Beckenboden und der Gebärmutterhals entspannt.
Inwieweit diese Tees eine Wirkung haben, ist sehr von der Qualität abhängig, aber natürlich auch vom Körper der Frau.
Was auf jeden Fall eine Wirkung hat, ist, wenn ich mir eine schöne Tasse Tee zubereite, diese in Ruhe trinke und mir Zeit für mich nehme, dann entspanne ich automatisch.
Welche Nährstoffe sind besonders wichtig in den letzten Schwangerschaftswochen und warum?
Wir brauchen bereits zu Beginn der Schwangerschaft ein Energieplus, und nicht erst in den letzten Schwangerschaftswochen. Dies ermöglicht es den Frauen, besser an die Mikronährstoffe zu kommen und gerade diese benötigen wir schon am Anfang der Schwangerschaft.
Die Supplementierung von Folat ist sehr bekannt. Es wird bereits bei Kinderwunsch empfohlen, um die Entstehung eines Neuralrohrdefekts zu vermeiden. Die Mikronährstoffversorgung zu Beginn der Schwangerschaft ist mir so extrem wichtig, weil wir sehr viele Frauen haben, die mit einem Defizit in die Schwangerschaft starten. Sei es, dass sie enorm viel Stress hatten, dass sie sich nicht gut versorgt haben, dass sie 15 oder 20 Jahre lang die Pille genommen haben. Es ist nicht selten, dass Frauen mit einem ordentlichen Minus in die Schwangerschaft starten, wenn sie erst ab dem vierten oder fünften Monat mehr an Energie und somit Mikronährstoffen aufnehmen, dann ist das Kind schon fertig und nimmt nur noch an Gewicht zu. Eine gute Mikronährstoffversorgung von Anfang an ist daher sehr wichtig. Abgesehen davon gebe ich den Frauen Zeit, sich auf eine frische Vollwerternährung einzustellen, die sie auch während der Stillzeit beibehalten.
Welche Mikronährstoffe sollten Schwangere supplementieren?
Vom Netzwerk Gesund ins Leben werden Folat, Jod und Omega-3-Fettsäuren empfohlen. Diese sollte man auf jeden Fall substituieren.
In den Nahrungsergänzungsmitteln ist die synthetische Form des Folats enthalten, nämlich Folsäure. Sie muss zunächst durch das Enzym Dihydrofolatreduktase in Tetrahydrofolsäure umgewandelt werden. Die Tetrahydrofolsäure muss anschließend noch in die wirksame Form des Methylfolat umgewandelt werden. Wenn die Frauen substituieren, ist also entscheidend, dass sie das Methylfolat oder ein bioaktives Folat verwenden. Im Körper muss das Folat durch Vitamin B12 aktiviert werden. Ich brauche also auch eine gute B12-Versorgung. Mischköstlerinnen sind mit Vitamin B12 gut versorgt. Veganerinnen sind ebenfalls gut versorgt, da sie wissen, dass sie Vitamin B12 substituieren müssen. Vegetarierinnen sind allerdings häufig unterversorgt mit Vitamin B12, da sie oft sehr wenig Milch und wenige Milchprodukte verzehren.
Jod ist ebenfalls sehr wichtig. Hier werden 100-150 μg empfohlen. Ich würde sagen, die meisten sind damit nicht gut versorgt, dabei ist es sehr wichtig für die Gehirnentwicklung des Kindes. Alle, die Schilddrüsenhormone nehmen, sollten sich auf jeden Fall mit ihrem Endokrinologen besprechen.
Omega-3-Fettsäuren brauchen alle. Aus meiner Sicht ist es heutzutage nicht mehr zeitgemäß, noch Fisch zu essen, auch wenn er in der Schwangerschaft und Stillzeit bis zu dreimal die Woche empfohlen wird. Aufgrund der hohen Gehalte an Quecksilber und Mikroplastik würde ich ihn allerdings nicht ruhigen Gewissens empfehlen.
Omega-3-Fettsäuren kann man beispielsweise über Mikroalgen-Öl aufnehmen. Es gibt unter anderem Leinöl, das mit den Omega-3-Fettsäuren DHA und EPA aus Mikroalgen-Öl angereichert ist. Das kann man wunderbar in die Salatsoße oder den Quark einrühren und hat keinen Nebengeschmack. Leinöl enthält Alpha-Linolensäure (ALA), aus der unser Körper zu einem gewissen Anteil selbst DHA und EPA bereitstellen kann.
Eisen wird erst empfohlen, wenn der Hb-Wert zu niedrig ist. Es ist wichtig, da es zum normalen Sauerstofftransport beiträgt. Gerade in der Schwangerschaft ist das entscheidend. Eisen kann sehr gut über die Nahrung aufgenommen werden, vor allem, wenn es gut kombiniert wird. Am besten ist die Kombination mit Vitamin C und nicht gleichzeitig mit Kaffee oder Milchprodukten. Eine ausreichende Grundversorgung mit Vitamin C ist entscheidend. Ein eisenhaltiger Saft kann beispielsweise auch als Zwischenmahlzeit eingenommen werden oder morgens ca. eine Stunde vor dem Frühstück.
Wir danken Edith Gätjen für das Gespräch.
Über Oec. troph. Edith Gätjen
Edith Gätjen ist Oecotrophologin, systemische Paar- und Familientherapeutin mit eigener Praxis und Lehrbeauftragte an der Hochschule für Gesundheit in Bochum. Sie ist Präsidentin des UGB (Vereine Unabhängiger Gesundheitsberatung) und der medizinischen Fakultät des Saarlands sowie Dozentin im Bereich vegetarischer und veganer vollwertiger Familienernährung und Autorin zahlreicher Bücher zu Ernährungserziehung und Familienküche. Sie hat die Leitung der Ausbildung „Stillberaterin in der Klinik“ am Fortbildungszentrum Bensberg inne und ist in der Aus- und Fortbildungstätigkeit für Hebammen, Krankenschwestern und Eltern im Bereich Ernährung in Schwangerschaft und Stillzeit sowie in den Bereichen Beikost und Kinderernährung tätig.